Viele Services und Informationen sind heute nur noch online verfügbar. Daher müssen Websites für alle Nutzer zugänglich sein, unabhängig von Alter, Digitalaffinität und möglichen Einschränkungen ihrer Fähigkeiten.
Hier kommen die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) ins Spiel. In diesem Beitrag beleuchten wir, was die WCAG sind, wie Sie sicherstellen können, dass Ihre Website den neuesten WCAG-Richtlinien entspricht und warum Ihnen KI dabei helfen kann.
Warum Barrierefreiheit?
„Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass jeder und jede unabhängig von einer Beeinträchtigung sich im Netz informieren und kommunizieren kann“, sagt Michael Wahl, Leiter der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik, in einem Deep-dive-Podcast von Heise. Wahl schätzt den Anteil der Userinnen und User, die eine Beeinträchtigung haben, auf etwa 30 Prozent. Das betrifft etwa Menschen mit Sehbehinderungen, motorischen oder kognitiven Problemen, Gehörlose oder Schwerhörige, aber auch ältere Personen oder solche, für die Deutsch eine Fremdsprache ist.
Für Webseitenbetreiber bedeutet das, dass sie auf ein Drittel ihrer potenziellen Nutzerinnen und Nutzer verzichten, wenn sie ihre Websites nicht barrierefrei gestalten. Zudem verpflichtet der Gesetzgeber mit dem ab 28. Juni 2025 Onlinehändler und vielen Dienstleistungsanbieter zur Umsetzung von Barrierefreiheit.
Für Webentwickler und Designer ist das eine Herausforderung – nicht zuletzt, weil die meisten Menschen kaum nachvollziehen können, was alles zu einer Barriere werden kann.
Was sind die WCAG?
Orientierung geben die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – international anerkannte Richtlinien zur Barrierefreiheit im Internet. In diesen definiert die Web Accessibility Initiative (WAI) des World Wide Web Consortiums (W3C) seit 1999 Empfehlungen für die Zugänglichkeit von Webangeboten.
Die WCAG sind heute Grundlage verschiedener Normen: Version 2.0 ist zum Standard ISO/IEC 40500:2012 erklärt worden, Version 2.1 ging in die europäische Norm EN 301 549 (Barrierefreiheitsanforderungen für IKT-Produkte und -Dienste) ein. Regelmäßig erscheinen neue Versionen, um sich ändernden technologischen und sozialen Anforderungen gerecht zu werden. Die neueste Version ist WCAG 2.2, an Version 3 wird gearbeitet.
Seit WCAG 2.0 folgen alle Versionen der gleichen Struktur: Vier Grundprinzipien werden allgemeine Leitlinien und diesen jeweils nachprüfbare Erfolgskriterien zugeordnet. Die Richtlinien sind technologieunabhängig formuliert; die Umsetzung für konkrete Technologien erläutern separate Dokumente.
Die vier Grundprinzipien der WCAG
Wahrnehmbarkeit von Informationen und Bedienelementen, z. B. über alternative Formate. WCAG 2.2 gibt dafür vier Richtlinien: 1. Textalternativen für nicht textförmigen Content (z. B. Bildbeschreibungen), 2. Alternativen oder Hilfen für Audio- und Video-Content (z. B. Untertitel), 3. Anpassbarkeit der Präsentation (z. B. einfacheres Layout) ohne Informationsverluste, 4. Unterscheidbarkeit (etwa in Bezug auf Kontrast, Font-Größen, farbbasierte Information).
Bedienbarkeit von Benutzeroberflächen und Navigationselementen. Richtlinien: 1. Alle Funktionen über Tastatur zugänglich, 2. genug Zeit zur Bedienung, 3. keine Inhalte,15 die bekanntermaßen körperliche Reaktionen wie Krampfanfälle auslösen können, 4. Hilfestellungen für Navigation, Suche und Orientierung, 5. erleichterte Bedienung bei anderen Eingabemethoden als Tastaturen.
Verständlichkeit von Informationen und Benutzeroberfläche. Richtlinien: 1. lesbarer und verständlicher Text (z. B. einfache Sprache), 2. vorhersehbare Bedienbarkeit und Funktionen, 3. Unterstützung beim Eingeben von Daten.
Robustheit bzw. Kompatibilität: Inhalte müssen zuverlässig von einer Vielzahl von Softwarewerkzeugen (User Agents) interpretiert werden können, einschließlich assistiver Technologien wie Screenreader , Sprachsteuerung oder Bildschirmlupe.
Für jede Richtlinie werden spezifische Erfolgskriterien genannt, die in drei Konformitätsstufen (Conformance Level) eingeteilt sind: A, AA und AAA. Eine Website, die alle A-Kriterien erfüllt, weist Konformität der Stufe A auf (Minimum), für Stufe-AA-Konformität müssen alle A- und AA-Kriterien erfüllt sein, für die höchste Stufe AAA dann entsprechend alle Erfolgskriterien.
Wie kann ich feststellen, ob meine Website konform zu WCAG 2.2 ist?
Um festzustellen, ob Ihre Website den WCAG 2.2-Richtlinien entspricht, sollten Sie einen systematischen Ansatz verfolgen. Dafür gibt es verschiedene Methoden, die auch kombiniert werden können:
1. Automatisierte Tests
Verschiedene Testwerkzeuge scannen Ihre Seiten auf Barrierefreiheit und identifizieren potenzielle Probleme basierend auf Kriterien der WCAG und anderer Standards. Damit gewinnen Sie einen ersten Eindruck und testen den Erfolg von Verbesserungsmaßnahmen. Eine umfangreiche, filterbare Liste solcher Tools finden Sie hier: Web Accessibility Evaluation Tools List.
Automatische Tools haben ihre Stärken und Schwächen; nutzen Sie ruhig mehrere parallel. Beispiele für empfehlenswerte und kostenlos online nutzbare Werkzeuge sind die BITV-Selbstbewertung, WAVE (Utah State University), QualWeb (Universität Lissabon, bewertet auch die Konformität mit WCAG-Kriterien), Accessibility Insights (Microsoft) oder Equal Access Checker (IBM). Alle genannten Tools sind auch als Browsererweiterung verfügbar. Interessant ist zudem auch Google Lighthouse: Das als Webservice (PageSpeed Insights) oder über die Entwickler-Tools im Chrome-Browser zugängliche Tool überprüft neben der Barrierefreiheit auch Leistung, Best Practices und SEO.
2. Manuelle Tests
Automatisierte Tools können viele Probleme erkennen, aber nicht alle. Ergänzen Sie daher Ihre Überprüfungen durch eigene manuelle Tests und überprüfen Sie Ihre Website selbst auf WCAG-Konformität.
Entscheiden Sie zunächst, welches Conformance Level Sie anstreben. Überprüfen Sie dann Ihre Website systematisch anhand der WCAG-2.2-Erfolgskriterien. Testen Sie beispielsweise, ob alle Funktionen und Links Ihrer Website per Tastaturnutzung zugänglich sind. Für blinde oder sehbehinderte Benutzer ist wichtig, dass Screenreader wie JAWS oder NVDA mit Ihren Webseiten gut zurecht kommen und dass Texte gut lesbar sind.
Hilfestellungen erhalten Sie von der W3C WAI (auf Englisch): Als komplette Checkliste kann die filterbare Schnellreferenz How to Meet WCAG dienen, weitere Infos liefert Evaluating Web Accessibility Overview. Auch deutschsprachige Anleitungen und Checklisten zum Thema barrierefreie Webseiten finden sich im Netz, zum Beispiel der Schnelltest barrierefreie Webseite der Stiftung „barrierefrei kommunizieren“, die Themenseite der Aktion Mensch oder die Checkliste der Unfallkasse Sachsen-Anhalt.
3. Benutzertests mit Menschen mit Behinderungen
Es ist Ihnen sehr wichtig, dass Ihre Webseiten allen Menschen zugänglich sind, oder Sie richten sich speziell an bestimmte Personengruppen mit Behinderungen? Dann ziehen Sie in Betracht, die Barrierefreiheit Ihrer Website mit verschiedenen Benutzern zu testen. Solche Tests bieten wertvolle Einblicke, die automatisierte und manuelle Tests in der Regel nicht liefern können.
Organisieren Sie beispielsweise Testsitzungen und bitten Sie Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, Ihre Website zu nutzen und Feedback zu geben. Sind Sie noch im Entwicklungsstadium, sollten Sie relevante Aspekte der Barrierefreiheit Ihrer Website vorab in Fokusgruppen mit Betroffenen diskutieren.
Wie kann ich KI nutzen, um die Barrierefreiheit meiner Website zu testen und zu verbessern?
Künstliche Intelligenz (KI) und vor allem generative KI bietet innovative Möglichkeiten, die Barrierefreiheit von Webseiten effizient zu überprüfen und zu verbessern. Wir nennen einige Möglichkeiten, wie Sie mithilfe von KI Probleme mit der Barrierefreiheit schneller erkennen und beheben können.
KI-gestützte Analyse auf Barrierefreiheit
Viele Tools zur automatisierten Accessibility-Analyse (siehe oben) nutzen bereits KI. KI kann zum einen viele dabei anfallenden Aufgaben automatisieren, verschiedene Nutzungsweisen simulieren, um Barrieren zu erkennen, oder die bei der Analyse anfallenden Datenmengen schnell und effizient analysieren. Beispiele für KI-gestützte Analyse-Tools sind axe DevTools von Deque Systems oder accessWidget von accessiBe.
Textanalyse und Generierung einfacher Sprache
KI-Sprachmodelle (Large Language Models) können Texte nach Vorgaben analysieren und generieren – auch auf Lesbarkeit, Verständlichkeit, Einfachheit und mehr. Neben den bekannten universellen KI-Werkzeugen wie ChatGPT von OpenAI, Gemini von Google oder Copilot von Microsoft gibt es dafür auch spezielle Tools zur Sprachanalyse und Verbesserung (z. B. capito.ai, TextLab oder Wortliga), die auch mit eigenen Daten trainiert werden können, und Tools, die auf einfache Sprache spezialisiert sind, etwa SUMM AI oder PLAIN (von Wortliga). ChatGPT bietet mit den sogenannten „GPTs“ die Möglichkeit, aufgabenspezifische Chatbots zu erstellen und zu veröffentlichen; auch hier finden sich Bots für einfache Sprache.
Bildanalyse und Alt-Text-Generierung
Wenn Ihre Website viele Fotos oder Grafiken enthält, kann die Erstellung von beschreibenden Alt-Texten für Menschen mit Sehbehinderungen viel Zeit in Anspruch nehmen. KI kann Ihnen hier Arbeit abnehmen, indem sie den Inhalt von Bildern analysiert und automatisch Bildbeschreibungen generiert. Das können zum Beispiel ChatGPT oder die bekannten Bildgenerator-Anwendungen Midjourney und Stable Diffusion.
Weitere KI-Anwendungen für Barrierefreiheit im Web
Die KI-Entwicklung ist schnelllebig, das Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten riesig. Zu weiteren Technologien, die jetzt schon vorhanden oder absehbar sind, zählen zum Beispiel:
KI-gesteuerte Erzeugung von Untertiteln: Spracherkennung macht’s möglich: KI kann jetzt schon automatisch Untertitel – auch mehrsprachig – für Videos auf Ihrer Website generieren und so die Zugänglichkeit für Menschen mit Hörbehinderungen verbessern. YouTube oder Facebook bieten diese Funktion ebenso wie spezialisierte Video-Tools, zum Beispiel VEED oder Flixier.
Interaktive Assistenten: KI-basierte Chatbots und virtuelle Assistenten können Benutzern helfen, Informationen zu finden oder Aktionen auszuführen. Das erhöht die Benutzerfreundlichkeit Ihrer Website und ist besonders nützlich für Nutzer mit visuellen oder kognitiven Beeinträchtigungen oder auch für ältere Menschen. Um solche KI-Assistenten zu entwickeln, gibt es verschiedene Tools und Plattformen – zum Beispiel Dialogflow von Google.
Avatare für Gehörlose: Animierte Avatare wie AVASAG oder KGA übersetzen Texte in Gebärdensprache. Denn diese ist gehörlosen Menschen vertrauter als die deutsche Schriftsprache, die für viele einer Fremdsprache gleichkommt.
Benutzerfeedback-Analyse: KI kann auch verwendet werden, um User-Feedback zu Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit zu analysieren. Entsprechende Lösungen kommen etwa von MonkeyLearn (Textanalyse von Nutzerfeedback), Hotjar (Feedback, Umfragen, Nutzungsanalysen) oder Qualtrics (Plattform für das „Experience Management“).
Overlay-Tools: Overlay-Werkzeuge wie UserWay versprechen, Websites schnell und oft automatisch barrierefrei zu machen, indem sie sie KI-gestützt mit Funktionen überlagern wie Vorlesefunktionen, Ausschnittsvergrößerungen, höheren Kontraste oder besonderen Farbschemata bzw. Schriften. Sie erfüllen diese Ansprüche aber derzeit noch ausreichend, wie u. a. aus einer Stellungnahme des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. hervorgeht.
Fazit
Die WCAG-Richtlinien helfen Ihnen dabei sicherzustellen, dass Ihre Website für alle Benutzer zugänglich ist. Durch die Kombination verschiedener Überprüfungsmethoden und Werkzeuge – einschließlich KI-gestützter Tools – können Sie die Barrierefreiheit Ihrer Website detailliert bewerten und kontinuierlich verbessern.
Titelmotiv: Photo by Ryoji Iwata on Unsplash
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