Eine mobile App zu erstellen, wirkt inzwischen fast schon wie ein Kinderspiel: Sowohl Android als auch iOS machen es durch Tutorials und Templates

extrem einfach, den Einstieg zu meistern. Doch eine wirklich gute App zu entwickeln – eine App, die dem Benutzer einen echten Mehrwert bietet, ihn fesselt und dazu bringt, sie nie wieder von seinem mobilen Gerät zu löschen, ist (und bleibt auch in Zukunft) harte Arbeit.

Selbst wer die erste Hürde – einen erfolgreichen Rollout – gemeistert hat, für den hat die Reise gerade erst begonnen. Wie viele andere Softwareprodukte, so ist auch eine App niemals wirklich „fertig“. Sie muss konstant weiterentwickelt und auf dem aktuellsten Stand gehalten werden. Die Welt dreht sich schließlich unaufhaltsam weiter. Raum für Verbesserungen, neue Features und vor allem das Feedback der Benutzer ist praktisch immer.

Ich habe über fast fünf Jahre als Technical Lead Mobile für die Lufthansa eine ganze Reihe an Lektionen gelernt, wie eine wirklich gute App auszusehen und zu funktionieren hat, welche Dinge es auf jeden Fall zu vermeiden gilt und worauf es wirklich ankommt. 

Es gilt alle Bestandteile des Entwicklungsprozesses zu betrachten: Das eigentliche Produkt, die dahinterstehende Technologie und vor allem das Team, das die App entwickelt. Alles muss zueinander passen und auf das gleiche Ziel ausgerichtet sein. Am Ende ist es das Benutzererlebnis, das stimmen muss.

In diesem dreiteiligen Artikel möchte ich daher einen Blick auf die einzelnen Bereiche werfen:

  • Was sind die Eigenschaften, die eine mobile App aus der Masse herausragen lassen? 
  • Was sind die richtigen Prozesse, Werkzeuge und technischen Punkte, die es zu berücksichtigen gilt, um eine herausragende App zu erstellen? 
  • Wie stelle ich ein Team zusammen, das dies alles auch tatsächlich liefern kann?

Jeder Bereich hat dabei seine eigenen Herausforderungen und „Aha-Momente“. Im ersten Teil werden wir uns mit dem Produkt beschäftigen: Was benötigen wir überhaupt, um den Benutzer von unserer App zu überzeugen? Im zweiten Teil werfen wir einen Blick auf die Technologie, die es uns erlaubt, alle angepriesenen Features auch umzusetzen, und im letzten Teil sehen wir uns an, welches Team wir benötigen, um unsere Ideen Realität werden zu lassen.

Das Produkt

Abbildung - Wir beginnen mit dem Produkt, der Idee hinter unserer mobile App.

Die Idee

Wir beginnen mit dem Produkt, der Idee hinter unserer mobile App. In der Softwareentwicklung tendieren wir oftmals dazu, unseren Fokus auf die Technik zu legen und das eigentliche “Warum?” links liegen zu lassen. Doch eine App wird nur dann wirklich gut werden, wenn von Anfang an eine klare Antwort auf die Frage existiert, warum die App überhaupt benötigt wird. Welches Problem soll sie lösen? Welchen Mehrwert soll sie dem Benutzer bieten?

Auch die Fragen “für wen ist die App?” und “für wen ist sie nicht?” sollten sich klar beantworten lassen. Ist meine Zielgruppe der “Gelegenheitsnutzer” (der möglicherweise schon mit der allgemeinen Benutzung eines mobilen Gerätes Schwierigkeiten hat), so muss die gesamte Benutzeroberfläche anders aufgebaut sein, als wenn sich die App an einen Poweruser richtet. Das hat wiederum Auswirkungen auf den technischen Unterbau und die angebotenen Funktionalitäten.

Doch der tatsächliche Endnutzer ist nicht der einzige Stakeholder, den es bei der Entwicklung zu berücksichtigen gilt. Gerade in größeren Firmen finden sich erstaunlich viele Beteiligte oder “Möchtegern-Beteiligte”, die ein Wörtchen mitreden wollen. Das Marketing möchte die App als Werbeträger nutzen. Das Analytics-Team möchte die App nutzen, um ein besseres Verständnis zu bekommen, was die Nutzer sonst noch so interessiert. Die Personalabteilung möchte eine Story über die App schreiben, um neue Entwickler rekrutieren zu können. 

Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Wichtig für uns als Entwicklungsteam ist es aber zu verstehen, wer Anforderungen einstellt und warum. Damit die App als Produkt funktioniert, muss die Entscheidung, was der eigentliche funktionale Kern ist und was als “nice to have” noch implementiert wird, bewusst getroffen werden.

Fokussierung

Eine klare Fokussierung erleichtert nicht zuletzt auch die Priorisierung im Falle eines Defekts oder einer Störung. Wie schnell muss reagiert werden? Welche Fehlerbehebungen müssen zuerst durchgeführt werden? 

Ein anschauliches Beispiel lieferte ein Softwareentwickler von Uber auf einer Konferenz vor einiger Zeit: Für Uber ist die absolute Kernfunktionalität das Vermitteln eines Fahrers an einen Kunden. Tritt hier im System eine Störung auf, ist das gesamte Geschäftsmodell in Gefahr. Interessanterweise ist die Bezahlung der Fahrt keine absolute Kernfunktionalität und wird daher intern anders bewertet. Im Falle eines kompletten Ausfalls der Zahlungsfunktionalität innerhalb der Uber-App kann der Fahrgast immer noch mit Bargeld bezahlen, aber die Vermittlungsleistung von Uber ist trotzdem zustande gekommen.

Dieses Beispiel soll verdeutlichen, warum es sich lohnt, eine klare Vorstellung über die angebotenen Funktionalitäten innerhalb der eigenen App zu haben.

Nutzerzentrierung

Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Was im Marketing bereits seit langer Zeit bekannt ist, sollte auch von uns in der Technik häufiger Beachtung finden.

Ein sehr schönes Beispiel begegnet mir jeden Tag in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit:

Abbildung Grundlagen einer mobile App - Auf den ersten Blick ein ganz normaler Fahrkartenautomat

Auf den ersten Blick ein ganz normaler Fahrkartenautomat. Interessant ist aber das Metallstück direkt über dem Münzschlitz.

Abbildung Grundlagen einer mobile App - Was ist die Funktionalität dieses Metallstücks

Was ist die Funktionalität dieses Metallstücks?

Eine ganze Reihe an Studien und Berichten haben sich mit dem Phänomen beschäftigt, dass Münzen, die von Automaten beim ersten Mal nicht angenommen werden, plötzlich doch akzeptiert werden, wenn man sie an einem Stück Metall reibt. Es existieren die wildesten pseudo-physikalischen Theorien hierzu, doch das soll uns alles nicht interessieren. Die akzeptierte wissenschaftliche Meinung ist, dass das Münzreiben schlicht keinerlei messbaren Effekt hat.

Fakt ist jedoch, dass es immer Leute geben wird, die ihre Münzen anreiben wollen und dies auch tun werden. Bei einem normalen Automaten wird hierbei im Laufe der Zeit immer mehr Lack abgerieben werden. Der Automat sieht danach nicht nur schlechter aus, er kann sogar beschädigt werden. Bei den Kölner Verkehrsbetrieben hat man daher eine sehr pragmatische und gleichzeitig extrem nutzerzentrierte Lösung gewählt: Man gibt eine Stelle vor, an der das Münzreiben sozusagen erwünscht ist. Obwohl es mit der Kernfunktionalität des Ticketautomaten (ein Ticket zu verkaufen) nicht das Geringste zu tun hat, haben alle Seiten etwas gewonnen: Der Benutzer fühlt sich besser, weil nach dem Reiben am Metall die Münze “plötzlich” doch akzeptiert wird, und die KVB hat weniger Schäden an ihren Automaten.

Auch beim Entwickeln einer App kommen immer wieder Situationen auf, bei denen es Dinge gibt, die vom Nutzer schlicht und ergreifend erwartet werden. Ob es uns als Anbieter der App nun gefällt oder nicht. Manchmal ist es daher die einfachere Lösung, dem Nutzer einfach zu geben, was er erwartet. Vielleicht ist es nur eine kleine Änderung im internen Prozess, die dafür enorm dazu beiträgt, das individuelle Benutzererlebnis zu verbessern. 

Ab und an macht es daher Sinn, über den eigenen Schatten zu springen: Ja, die Funktionalität wirkt unnütz und möglicherweise sogar falsch, aber sie hilft dabei, das große Ganze besser zu gestalten, und darauf kommt es an.

Fazit

Das Fundament für eine herausragende mobile App ist zunächst immer eine gute Idee und der entsprechende Mehrwert für den Benutzer. Wenn hier schon Unklarheit herrscht oder nicht wirklich klar ist, was erreicht werden soll, kann die beste Technik und ein hoch motiviertes Team keine Wunder mehr vollbringen.

Im nächsten Teil werden wir uns ansehen, wie wir einer guten Idee technisch zum Leben verhelfen und was es bei der eigentlichen Entwicklung zu beachten gilt.

Christian Seifert

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